Das nicht so dunkle Mittelalter


Ich erzähle Dir diese Geschichte nur ganz grob. Die Griechenrömer von Aristoteles bis Cäsar waren ganz verruchte Verbrecher, die ihre sogenannte Kultur, an welcher ganz wenige Menschen teilhatten, auf Sklavenhaltung begründeten. Mir ist schleierhaft, wie man von solchen Sklavenhaltern mit auch nur der geringsten Achtung sprechen kann. Die Sklaven wehrten sich natürlich und wurden anfänglich wie Jesus ans Kreuz geschlagen. Mit der Zeit jedoch konnte die herrschende Clique den Sklaven nichts mehr entgegenhalten, ihr Einfluss zerbrach. Die Sklaven machten sich selbständig, sie wurden zu Menschen.

Du siehst, die griechisch-römische Zivilisation ist tiefste Nacht und ihr Untergang im sogenannten Mittelalter ist unsere Morgenröte. Der technisch-kulturelle Standard, den die Römer mit Sklavenblut entwickelt haben, zerfiel in den Aufständen. Das haben die ehemaligen Sklaven in Kauf genommen, sie wollten lieber Menschen sein als sicher versorgte Haustiere. Das, was wir Christentum nennen, ist unsere Befreiung aus der Sklavenzivilisation der eigentlichen Barbaren, die uns Barbaren nannten. Mit einem einzelnen Christus, wie er in der Legende lebt, hat das nichts zu tun, auch wenn die Prinzipien, die Jesus zugeschrieben werden, in dieser Phase der Menschwerdung absolut wichtig waren. Die christliche Moral stammt nicht aus den Wüsten Judäas, sondern aus dem Befreiungskampf in Rom.

Jedenfalls begann im zerfallenden römischen Reich eine dezentrale Kultivierung des Landes, das sich die ehemaligen Sklaven genommen hatten. Da die kulturellen Leistungen der Griechen und Römer sehr selektiv auf kriegerische Unterdrückung und Luxusgüter bezogen waren, hatten die Sklaven praktisch keine brauchbaren Werkzeuge geerbt, sie mussten sie selbst entwickeln. Da mit dem Staatsterrorismus auch die Infrastruktur zerfiel, mussten überdies alle Erfindungen mehrfach gemacht werden, weil zunächst niemand mehr für deren Verbreitung sorgte.

Als die Römer noch richtig am Drücker waren, kreuzigten sie alle, die gegen ihre Herrschaft aufbegehrten. Erst viel später in der katholischen Theologie wurde die römische Unterdrückung mit dem Löwenzirkus ausgeschmückt zur Christenverfolgung umfunktioniert. Den Römern war völlig gleichgültig, was ihre Sklaven glaubten, solange sie nicht aufbegehrten. Aber die Sklaven begehrten auf. Revolutionen – und die ›christliche‹ in Rom war unsere wichtigste und weittragenste Revolution – Revolutionen haben immer auch eine geistige, ideologische Ebene. Im sterbenden Rom wurde eben das Christentum geschaffen.

Die Sklaven, die nun keine mehr waren, arbeiteten und beteten. Natürlich hatten diese Christen noch viele Götter und noch fast keine Priester, da sie sich am Anfang sicher nur die ersteren leisten konnten. Aber schon nach kurzer Zeit wurden einige Sekten ziemlich dominant, der erfolgreichste Sektengründer hiess Benedikt von Nursia, er schrieb keine hundert Jahre nach dem Zerfall von Rom seine Klosterregeln, mit denen er ein Imperium gründete, von welchem die Römer nicht einmal zu träumen wagten. Du weisst, wie mächtig die Kirche selbst noch heute ist. Mit seinem Gebot ‹Bete und arbeite‹ regelte der Benediktiner die Arbeitszeit, indem er vorschrieb, wann gebetet werden musste. Die Klöster wurden zu Knotenpunkten der neu aufgebauten Infrastruktur. Weil die römischen Stadthalter ihre Festungen an den gut ausgebauten römischen Strassen am längsten verteidigten, gerieten die Klöster geographisch alle etwas ins Abseits, was ihrer Verbreitung aber keinen Abbruch tat. Später zerfielen das ganze römische Strassennetz und auch alle Bewässerungsanlagen, weil sich das christliche Leben an anderen Orten angesiedelt hatte, so dass die Strassen nichts mit nichts statt Klöster verbunden hatten.

Benedikt und seine Komplizen, die sich die geistige Verbundenheit der neuen Menschen zunutze machten, führten zunächst im Kloster wieder differenzierte Hierarchien und Arbeitsteilung ein. Bald hielten sich die Pfaffen Knechte, bald nahmen sie das Land in Besitz. Das Gerangel um die Macht und Grundbesitz fing von neuem an. Natürlich liessen sich auch nie alle römischen Stadthalter verdrängen. Sie konvertierten und gründeten in städtischen Zentren Kirchen, um die Klöster mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Bald wurde auch in den vormals römischen Städten gebetet, Bischöfe und Päpste wurden kreiert.

Die Klöster wehrten sich mit Lehensgütern, die sie jenen gewährten, die ihnen dafür kriegerischen Schutz der Hoheitsrechte gewährten. Rasch mauserten sich kleine Verbrecher zu Rittern mit Macht, die sich abwechslungsweise von Kirchen und Klöstern in adelige Ränge hochheben liessen. Häufig waren auch die Klosterherren selbst Ritter und Adelige, weil sie sich gegenseitig in die Stände hoben.

Das Mittelalter war keineswegs eine dunkle Zeit, vielmehr wird heute verdunkelt, wo alle Reichtümer der Kirche und des Adels herkommen. Natürlich gab es auch immer Christen, die sich gegen die Kirche mit ihren vollgefressenen Pfaffen wehrten. Eine berühmte unter vielen erfolglosen christlichen Gegenbewegungen, die Armut predigten, waren die Franziskaner. Franz, der Gründer dieser Bewegung, wusste aus eigener Erfahrung, dass Reichtum das grösste Laster ist. Er erfand den langhaarigen, besitzlosen Christus, der viel später auch Vorbild der Hippiebewegten wurde.

Die Benediktiner waren ausgeprägte Politiker, sie monopolisierten Christus, indem sie sehr gelehrte Gespräche darüber führten, was Jesus von Besitz gehalten haben musste. Vordergründige Schwätzer und Populisten, die sich von den wirklichen Christen aushalten liessen. Selbstverständlich gelang ihnen dies nicht, weil die Christen je auf ihr Geschwätz hereingefallen wären, sondern ausschliesslich durch brutale ökonomische Unterdrückung.

Die Frage ist, wie wir die Benediktiner wenigstens teilweise losgeworden sind. Was die Benediktiner wirklich erledigte, war die bürgerliche Produktion in Manufakturen, die die Benediktiner in ihrem Wachstums- und Grössenwahn selbst begründeten. Mit dem zünftigen Handwerk konnten die Klöster mithalten, weil sie selbst viel handwerkliches Wissen monopolisiert hatten. Sie gaben dieses Handwerkswissen wie Lehen an bestimmte Handwerker in den Städten ab, die versprechen mussten, das Wissen weiter im Monopol zu halten. Die Handwerker gründeten dazu Zünfte, die durch die Mächtigen und mithin von den Klöstern zunächst geschützt wurden und deshalb rasch zur Blüte kamen. Durch das Manufakturwesen wurden die Zunftherren aber rasch so reich, dass sie ihre Unterordnung unter die herrschende Kirche abschütteln konnten. Dabei verrieten die Bürger grosses Geschick, indem sie Reformatoren anstellten und so ebenso christlich blieben wie die alteingesessenen Ausbeuter. Es gab einige sogenannte Religionskriege, die mit Religion so viel zu tun hatten wie mit Bierwurst, und in der Folge einige kleinbürgerliche Revolutionen, die dann das Mittelalter restlos verabschiedeten.

Natürlich wechselten dabei die Zentren der Infrastruktur von neuem. So wie die Klöster zuvor abseits der römischen Zentren entstanden, entwickelte sich das Bürgertum abseits der kirchlichen Machtzentren. In der Schweiz sticht das noch heute in die Augen. Einstmals wichtige Kirchenstädte wie Chur, St. Gallen, Freiburg und so weiter sind völlig bedeutungslos geworden, reformierte Orte, vorab Zürich und Genf, sind als Kapitaltauschplätze aus dem Nichts heraus quasi über Nacht gross geworden, weil die Reformatoren unter dem Diktat der Zunftbürger Zins nehmen aus dem Sündenreigen verbannten. Unter der katholischen Kirche war Zins nehmen nur den Juden erlaubt, die davon zwar gut lebten, aber als kleine und kontrollierte Minderheit nie richtig mächtig werden konnten. Reformation heisst vor allem Reformation des Zinswesens, die Reformation war der Geburtstag der Banken.

Das Mittelalter ist die Zeit des Werkzeuges. Das Ende des Mittelalters ist die Erfindung der Maschine.
Das Mittelalter ist die Zeit der Münzen. Das Ende des Mittelalters ist die Erfindung des Geldes.
Das Mittelalter ist die Zeit der Vasallen (Lehnswesen). Das Ende des Mittelalters ist die Erfindung des Nation.

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