Bücherautobiographie


Indem ich die mir wichtigen Büchern aufzähle, schreibe ich eine Art Autobiografie anhand von spezifischen Ereignissen, die in meinem Leben eine wichtige Rolle spiel(t)en. Ich habe in diesen Büchern für mich wichtige Kategorien und Perspektiven gefunden, ohne die ich ein andere Mensch wäre.

Als Ereignisse bezeichne ich das Lesen dieser Bücher, weil es mir viel mehr passiert ist, als dass ich die Bücher ausgewählt hätte. Von vielen weiss ich gar nicht mehr, wie es dazu gekommen ist, dass ich sie gelesen habe. Auch der Zusammenhang zwischen diesen Büchern findet sich in den meisten Fällen nur in meiner Geschichte. Andere Menschen, die eines dieser Bücher gelesen haben, haben deshalb kaum die anderen Bücher der Liste auch gelesen.

Natürlich gibt es in meiner Biografie Ereignisse, etwa Bekanntschaften oder Arbeitstätigkeiten, die bestimmte Bücher etwas plausibilisieren. Aber das heisst nur, dass ich meine Biografie auch ganz anders erzählen könnte. Die Bücher sind Ereignisse im Rahmen von Ereignissen. Mir dienen sie, meine Geschichte zu erkennen.

Indem ich diese Bücher auswähle, schreibe ich eine bestimmte Geschichte. Ich habe auch andere Bücher gelesen. Einige Bücher, die ich gar nicht gelesen habe, haben mich indirekt sehr stark beeinflusst. Und einige Bücher, die ich nicht nennen mag, weil sie mir nicht gefallen, hatten auch eine grosse Wirkung auf mich. Jede Biografie ist eine mögliche Geschichte, wie jede Geschichte ein mögliche ist.

Und weil jede Geschichte auch ausführlicher sein könnte, schreibe ich später welche Bücher ich an welche angeschlossen habe, während ich hier sozusagen relative Ausgangspunkte aufliste.

Und schliesslich gibt es Bücher, von denen ich weiss, dass sie für andere Menschen sehr wichtig sind, die mich so kalt gelassen haben, dass ich deren Lesen nicht einmal erwogen habe. Ich erwähne auch Büchern, die mir gar nicht gefallen, aber trotzdem Ideen geliefert haben. Es gibt auch Bücher, die mir gut gefallen, ohne dass ich erkenne, inwiefern sich mich verändert haben. Eigenartig genug, dass mir bestimmte Bücher gefallen.

Biografien werden normalerweise chronologisch geschrieben. Auch darauf verzichte ich vorerst.

Das Kapital von K. Marx ist – im Nachhinein – das wichtigste Buch für mich. Ich habe es im Zusammenhang mit den im Rahmen meines Studiums recht zufällig besuchten Vorlesungen zur Einführung ins ‚ Kapital‘ von W. Haug gelesen, was aber auch meine Leseweise des Kapitals mitbestimmt und andere Bücher nahegelegt hat, die auch auf meiner Liste stehen. Zum einen das Projekt Automation und Qualifikation und zum andern die Kritische Psychologie. Von beidem hätte ich ohne W. Haug wohl nie etwas erfahren.
Sinnliche Erkenntnis von K. Holzkamp half mir Marx unter dem Gesichtspunkt der Tätigkeit zu lesen, was mich zu A. Leontjew’s Tätigkeit führte, die ich viel später in Vita activa von H. Arendt relativiert sah. Wegen dem Buch von K. Holzkamp wechselte ich von der Soziologie zur Psychologie, was mir später als Systemtheorie einerlei wurde.

Durch das Projekt Automation von F. Haug – das den Kreis zur Kritischen Psychologie geschlossen hat – befasste ich mich mit Technologie und studierte dann deshalb auch etwas Informatik. Durch U. Osterkamp entdeckte ich F. Taylor und wohl auch H. Bravermans Produktionsprozess.

Durch das von K. Holzkamp angeregte Psychologiestudium entdeckte ich die Kybernetik. Die Zusammenhänge sind mir verborgen. Einiges ergab sich durch mein Projekt „Technische Intelligenz„, wohl auch G. Ropohls Systemtheorie, was mich zusammen mit dem Konstruktivismus zu meiner aktuellen technologischen Systemtheorie geführt hat.

T. Kidder hat mir geholfen, die Sprache der Techniker als separates Problem zu sehen. Durch ihn bin ich auf B. Whorf und schliesslich – mit Umweg über S. Schmidt – auf E. von Glasersfeld gekommen.

Der Konstruktivismus von E. von Glasersfeld erinnerte mich an Whorfs Sprachauffassung und an das kleine Lexikon von U. Weidmann, wobei vor allem letzteres mich veranlasste, eine eigenes Begriffslexikon zu schreiben, weil Apple gerade Hypercard lancierte. Sprache ist mir in meinen Projekt – auch wegen der Programmiersprachen – wichtig geworden. Es ist ein gebliebenes Thema in immer wieder neuen Varianten.

Das Label Konstruktivismus hat mich dann auch zu H. Maturana und H. von Foerster geführt und lange Zeit mein Denken orientiert. Insbesondere der Beobachter und die 2. Ordnung haben mich nie mehr losgelassen.
G. Bateson, der lose zum Konstruktivismus gehört, ist ein Kybernetiker, von welchem ich nicht nur viele laxe Redeweisen habe, ich habe einen Aufsatz dazu geschrieben.

D. Bohms Dialog und M. Bubers Ich und Du haben mir dann eine neue Sicht auf den Konstruktivismus gegeben, in welcher Philosophie und Wissenschaft – wie bei F. Mauthner aufgehoben – sind. Ich befasse mich praktisch nur noch mit dem Dialog.

Die Bücher von W. Reich sind die ersten Bücher, die ich überhaupt gelesen habe. Ich kann mich nicht erinnern, warum ich – sehr spät – überhaupt angefangen habe zu lesen und warum es diese Bücher waren. Aber lange vor Marx habe ich damit eine Weltanschauung gefunden – und ein Thema, das mich durch das ganze Studium bis zu Lizentiatsarbeit über Sexualität beschäftigt hat – was ich viele Jahre später auch als Sprachproblem erkenne.

Walden ist für mich zur politischen Lektüre schlechthin geworden. Auch dazu habe ich keine Idee, wir ich auf des Buch gestossen bin und wann ich es zum ersten Mal gelesen habe. Aber dass ich ein Remake geschrieben habe, zeigt mir deutlich genug, wie wichtig mir dieser Behaviorismus war und ist.

F. Lasalle hat mir geholfen die Beschreibung vom Beschriebenen zu unterscheiden, Verfassung und vor allem Gesetze als Beschreibungen zu verstehen.

Das Motorradbuch von B. Spiegel habe ich gelesen, weil mir seine Vorträge gefallen habe. Ich habe darin jede Menge Formulierungen zur Systemtheorie gefunden, die ich jetzt selbst verwende.

Ding und Medium von F. Heider habe ich gelesen, weil es mir in Beiträgen über N. Luhmann sehr oft begegnet. Es ist ein erstaunliches Buch über Koppelungen, das die Wahrnehmung nach aussen kehrt.

Es gibt eine Reihe von Büchern, die mir wichtig sind, ohne dass ich sie aktuell als Teile meiner Theorie erkennen kann. Hier werden noch einige folgen. Von den genannten Autoren habe ich oft auch andere Bücher gelesen, die ich hier einfach mitmeine.

Es gibt Romane, bei welchen mich nicht vor allem die erzählte Handlung interessiert, sondern mehr die implizite Utopie. „Walden“ ist in diesem Sinne ein Roman, den ich den Sachbüchern zurechne. Viele Romane interessieren mich auf dieser Ebene.

Ich habe auch Bücher gelesen, die ich gar nicht empfehlen will, aber mir wichtige Hinweise gegeben haben. Bei Y. Harari habe ich gelesen, wie problematisch die Erfindung des Ackerbaus ist, was ich lustig und bei ihm ohne jede Reflexion finde. Wichtig war für mich dagegen, dass „vor der Dampfmaschine nur Organismen Sonnenenergie in Bewegung umwandeln konnten“. H. Arendt meinte, dass Kohle dabei wichtiger als die Dampfmaschine war. Beide haben eine sehr seltsame Technikphilosopie und mich auch veranlasst, über meine eigen wieder nachzudenken.

Das ist immerhin ein Anfang meiner Autobiographie.

2 Antworten zu “Bücherautobiographie

  1. Ich lese diesen Beginn der Autobiographie so, dass Teile der gelesenen Bücher in deiner Theorie aufgehoben sind, die Biographie also darauf verweist, was bezüglich der Theorie in welchen Büchern steht, respektive welche Bücher so gelesen werden können, dass das Sogelesene Teil der Theorie geworden ist, die Du entwickelst. Ich nehme an, dass auch Vieles, was noch nicht in Büchern steht, in Deiner Theorie aufgehoben sein wird. Ich bin gespannt, wie die Geschichte weitergeht.

  2. 🙂 ja, das sehe ich auch so, und gespannt bin ich auch.

    Und zusätzlich – deshalb bezeichne ich es als Biographie – (be)schreibe ich damit die Geschichte von mir in Form einer „wahren“ Geschichte, die neben vielen ganz anderen auch wahren Geschichten steht

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