Anarchistisches Eigentum – Aneignungen


Aneignung ist ein ung-Wort. Ich bezeichne damit eine Hypostasierung des Aneignens. Das Aneignen rechne ich einem Subjekt zu. Ich eigne mir an, wodurch ich eigentlich (eigen und eigenartig) werde. Ich unterscheide eine innere und eine äussere Aneignung.

Als innere Aneignung bezeichne den Stoffwechsel eines Lebewesens. In Anlehnung an K. Marx, der den Begriff eingeführt hat, unterscheide ich mit Stoffwechsel meinen organischen und meinen unorganischen Leib. Der Leib entspricht einer Abgrenzung, die H. Maturana als Autopoiese bezeichnet hat. Der unorganische Leib ist der Stoff, der im Stoffwechsel zum Leib wird. Umgangssprachlich bezeichne ich den unorganischen Leib als Natur und den Stoffwechsel als Nahrungsaufnahme oder Konsumption. Alles was ich in meinen Organismus zuführe, war zuvor mein unorganischer Leib oder eben Natur. Wenn ich einen Apfel esse, gibt es den Apfel ausserhalb von mir nicht mehr. Mein Leib existiert so lange, wie er den Stoffwechsel aufrecht erhalten kann. Meine Autopoiese ist an den Stoffwechsel gebunden. In Anlehnung an H. Arendt, die das aber nicht so deutlich sagt, bezeichne ich das, was ich für meinen Stoffwechsel nicht selbst tun muss, als Arbeit. Essen muss ich selbst, meine Nahrung herbeischaffen, können auch andere.

Als äussere Aneignung bezeichne ich das Herstellen von Gegenständen, die ich dann besitze. Als Herstellen bezeichne ich eine zweckmässige Umformung von Stoffen meines unorganischen Leibes, die dadurch zu Materialien von Artefakten werden, die ich auf diese Weise aneigne. Was ich herstelle, stelle ich für mich oder für meine Zwecke her. Ich bezeichne das Herstellen als Produktion, die verwendeten Stoffe verbleiben im unorganischen Leib, auch wenn ich sie als Material nicht mehr der Natur zurechne. Jedes Herstellen impliziert die Verwendung von Werkzeugen, die ihrerseits hergestellt werden. Deshalb bezeichne ich den Hersteller als toolmaking Lebewesen. In Anlehnung an H. Arendt führe ich meine Kategorien auf das Herstellen zurück, das ich in einer Geschichte mit einem Anfang beschreiben kann. Die Arbeit hat wie die Natur keinen Anfang,

Wenn ich ein Brot produziere, produziere ich Nahrung, auch wenn ich es als Ware verkaufe. Brot wird konsumiert. Eigentliches Herstellen stellt Gegenstände her, die ich verbrauche, nicht konsumiere.

Eine metaphorische Form der Aneignung bezeichne ich in Anlehnung an H. Arendt als politische „Aneignung“, die eigentlich eine Enteignung ist. Es ist eine Aneignung, die nicht auf Arbeit oder Herstellen beruht. Es ist eine rechtliche, vertragliche Aneignung, die durch eine politische Verfassung legitimiert wird. Wenn ich ein Grundstück kaufe, ist das weder innere noch äussere Aneignung, weil ich dabei weder mich noch meine Umwelt verändere.

„Eigentum ist Diebstahl“ ist eine prägnante Darstellung davon, dass politische Aneignung eine Enteignung ist. Politisch sind alle „Aneignungen“, die weder den Stoffwechsel noch das eigenen Herstellen bezeichnen.

Bücherautobiographie


Indem ich die mir wichtigen Büchern aufzähle, schreibe ich eine Art Autobiografie anhand von spezifischen Ereignissen, die in meinem Leben eine wichtige Rolle spiel(t)en. Ich habe in diesen Büchern für mich wichtige Kategorien und Perspektiven gefunden, ohne die ich ein andere Mensch wäre.

Als Ereignisse bezeichne ich das Lesen dieser Bücher, weil es mir viel mehr passiert ist, als dass ich die Bücher ausgewählt hätte. Von vielen weiss ich gar nicht mehr, wie es dazu gekommen ist, dass ich sie gelesen habe. Auch der Zusammenhang zwischen diesen Büchern findet sich in den meisten Fällen nur in meiner Geschichte. Andere Menschen, die eines dieser Bücher gelesen haben, haben deshalb kaum die anderen Bücher der Liste auch gelesen.

Natürlich gibt es in meiner Biografie Ereignisse, etwa Bekanntschaften oder Arbeitstätigkeiten, die bestimmte Bücher etwas plausibilisieren. Aber das heisst nur, dass ich meine Biografie auch ganz anders erzählen könnte. Die Bücher sind Ereignisse im Rahmen von Ereignissen. Mir dienen sie, meine Geschichte zu erkennen.

Indem ich diese Bücher auswähle, schreibe ich eine bestimmte Geschichte. Ich habe auch andere Bücher gelesen. Einige Bücher, die ich gar nicht gelesen habe, haben mich indirekt sehr stark beeinflusst. Und einige Bücher, die ich nicht nennen mag, weil sie mir nicht gefallen, hatten auch eine grosse Wirkung auf mich. Jede Biografie ist eine mögliche Geschichte, wie jede Geschichte ein mögliche ist.

Und weil jede Geschichte auch ausführlicher sein könnte, schreibe ich später welche Bücher ich an welche angeschlossen habe, während ich hier sozusagen relative Ausgangspunkte aufliste.

Und schliesslich gibt es Bücher, von denen ich weiss, dass sie für andere Menschen sehr wichtig sind, die mich so kalt gelassen haben, dass ich deren Lesen nicht einmal erwogen habe. Ich erwähne auch Büchern, die mir gar nicht gefallen, aber trotzdem Ideen geliefert haben. Es gibt auch Bücher, die mir gut gefallen, ohne dass ich erkenne, inwiefern sich mich verändert haben. Eigenartig genug, dass mir bestimmte Bücher gefallen.

Biografien werden normalerweise chronologisch geschrieben. Auch darauf verzichte ich vorerst.

Das Kapital von K. Marx ist – im Nachhinein – das wichtigste Buch für mich. Ich habe es im Zusammenhang mit den im Rahmen meines Studiums recht zufällig besuchten Vorlesungen zur Einführung ins ‚ Kapital‘ von W. Haug gelesen, was aber auch meine Leseweise des Kapitals mitbestimmt und andere Bücher nahegelegt hat, die auch auf meiner Liste stehen. Zum einen das Projekt Automation und Qualifikation und zum andern die Kritische Psychologie. Von beidem hätte ich ohne W. Haug wohl nie etwas erfahren.
Sinnliche Erkenntnis von K. Holzkamp half mir Marx unter dem Gesichtspunkt der Tätigkeit zu lesen, was mich zu A. Leontjew’s Tätigkeit führte, die ich viel später in Vita activa von H. Arendt relativiert sah. Wegen dem Buch von K. Holzkamp wechselte ich von der Soziologie zur Psychologie, was mir später als Systemtheorie einerlei wurde.

Durch das Projekt Automation von F. Haug – das den Kreis zur Kritischen Psychologie geschlossen hat – befasste ich mich mit Technologie und studierte dann deshalb auch etwas Informatik. Durch U. Osterkamp entdeckte ich F. Taylor und wohl auch H. Bravermans Produktionsprozess.

Durch das von K. Holzkamp angeregte Psychologiestudium entdeckte ich die Kybernetik. Die Zusammenhänge sind mir verborgen. Einiges ergab sich durch mein Projekt „Technische Intelligenz„, wohl auch G. Ropohls Systemtheorie, was mich zusammen mit dem Konstruktivismus zu meiner aktuellen technologischen Systemtheorie geführt hat.

T. Kidder hat mir geholfen, die Sprache der Techniker als separates Problem zu sehen. Durch ihn bin ich auf B. Whorf und schliesslich – mit Umweg über S. Schmidt – auf E. von Glasersfeld gekommen.

Der Konstruktivismus von E. von Glasersfeld erinnerte mich an Whorfs Sprachauffassung und an das kleine Lexikon von U. Weidmann, wobei vor allem letzteres mich veranlasste, eine eigenes Begriffslexikon zu schreiben, weil Apple gerade Hypercard lancierte. Sprache ist mir in meinen Projekt – auch wegen der Programmiersprachen – wichtig geworden. Es ist ein gebliebenes Thema in immer wieder neuen Varianten.

Das Label Konstruktivismus hat mich dann auch zu H. Maturana und H. von Foerster geführt und lange Zeit mein Denken orientiert. Insbesondere der Beobachter und die 2. Ordnung haben mich nie mehr losgelassen.
G. Bateson, der lose zum Konstruktivismus gehört, ist ein Kybernetiker, von welchem ich nicht nur viele laxe Redeweisen habe, ich habe einen Aufsatz dazu geschrieben.

D. Bohms Dialog und M. Bubers Ich und Du haben mir dann eine neue Sicht auf den Konstruktivismus gegeben, in welcher Philosophie und Wissenschaft – wie bei F. Mauthner aufgehoben – sind. Ich befasse mich praktisch nur noch mit dem Dialog.

Die Bücher von W. Reich sind die ersten Bücher, die ich überhaupt gelesen habe. Ich kann mich nicht erinnern, warum ich – sehr spät – überhaupt angefangen habe zu lesen und warum es diese Bücher waren. Aber lange vor Marx habe ich damit eine Weltanschauung gefunden – und ein Thema, das mich durch das ganze Studium bis zu Lizentiatsarbeit über Sexualität beschäftigt hat – was ich viele Jahre später auch als Sprachproblem erkenne.

Walden ist für mich zur politischen Lektüre schlechthin geworden. Auch dazu habe ich keine Idee, wir ich auf des Buch gestossen bin und wann ich es zum ersten Mal gelesen habe. Aber dass ich ein Remake geschrieben habe, zeigt mir deutlich genug, wie wichtig mir dieser Behaviorismus war und ist.

F. Lasalle hat mir geholfen die Beschreibung vom Beschriebenen zu unterscheiden, Verfassung und vor allem Gesetze als Beschreibungen zu verstehen.

Das Motorradbuch von B. Spiegel habe ich gelesen, weil mir seine Vorträge gefallen habe. Ich habe darin jede Menge Formulierungen zur Systemtheorie gefunden, die ich jetzt selbst verwende.

Ding und Medium von F. Heider habe ich gelesen, weil es mir in Beiträgen über N. Luhmann sehr oft begegnet. Es ist ein erstaunliches Buch über Koppelungen, das die Wahrnehmung nach aussen kehrt.

Es gibt eine Reihe von Büchern, die mir wichtig sind, ohne dass ich sie aktuell als Teile meiner Theorie erkennen kann. Hier werden noch einige folgen. Von den genannten Autoren habe ich oft auch andere Bücher gelesen, die ich hier einfach mitmeine.

Es gibt Romane, bei welchen mich nicht vor allem die erzählte Handlung interessiert, sondern mehr die implizite Utopie. „Walden“ ist in diesem Sinne ein Roman, den ich den Sachbüchern zurechne. Viele Romane interessieren mich auf dieser Ebene.

Ich habe auch Bücher gelesen, die ich gar nicht empfehlen will, aber mir wichtige Hinweise gegeben haben. Bei Y. Harari habe ich gelesen, wie problematisch die Erfindung des Ackerbaus ist, was ich lustig und bei ihm ohne jede Reflexion finde. Wichtig war für mich dagegen, dass „vor der Dampfmaschine nur Organismen Sonnenenergie in Bewegung umwandeln konnten“. H. Arendt meinte, dass Kohle dabei wichtiger als die Dampfmaschine war. Beide haben eine sehr seltsame Technikphilosopie und mich auch veranlasst, über meine eigen wieder nachzudenken.

Das ist immerhin ein Anfang meiner Autobiographie.

Sprechen als Vertonung von Geschriebenem


Wir werden zu zeigen versuchen, dass es kein sprachliches Zeichen gibt, dass der Schrift vorher ginge. Derrida, Jacques: Grammatologie, S.29

Schreiben und Sprechen betrachte ich als funktionell verwandte Tätigkeiten. Schreiben betrachte ich als herstellende Tätigkeit. Beim Schreiben hinterlasse ich einen materiellen Gegenstand, den ich als Text bezeichne. Das Sprechen betrachte ich als eine „Vertonung von Text“. Ich befasse mich deshalb hier nur mit dem Schreiben, mit dem Herstellen von Text. Dabei geht es nicht darum, was einem jeweiligen Text steht, oder was man dort lesen könnte, sondern um den in Form von Schriftzeichen hergestellten Gegenstand und dessen Gegenstandsbedeutung.

Mir ist bewusst, dass ich das Wort Text und damit verbunden die Wörter schreiben, lesen und sprechen hier in dem engen Sinn der Kommunikationstheorie von C. Shannon verwende, worin Inhalte keine Rolle spielen, dass ich aber gleichwohl darüber schreibe, wie ich diese Wörter verwende, also Inhalte produziere. Ich werde später darauf zurückkommen, vorerst aber nur das Schreiben als Tätigkeit betrachten. L. Wittgenstein hat dazu in seinen Untersuchungen (PU156) vorgeschlagen, das Schreiben von noch unbeholfenen Menschen zu beobachten, die sich noch gar nicht um Inhalte kümmern können, weil sie das Schreiben erst lernen müssen. Ich schlage dagegen vor, das Produkt des Schreibens zu beobachten, gleichgültig was sein „geistiger“ Inhalt sei. Der herzustellende Gegenstand bestimmt wesentliche Aspekte der herstellenden Tätigkeit.

Texte haben als Artefakte eine Gegenstandsbedeutung, einen Zweck und einen Sinn. Als Gegenstände haben Texte keine Funktion, sie können verschiedene Funktionen erfüllen. Hier verwende ich Text zur Erläuterung, was ich mit Text bezeichne.

Ich beginne mit der Gegenstandsbedeutung. Die Gegenstandsbedeutung von Text liegt nicht in einer irgendwie gearteten inhaltlichen Bedeutung, die mittels Text übermittelt werden soll, sondern darin, wozu ich Text als solchen herstelle, unabhängig davon, was ich darin (be)schreibe. Ich schreibe, damit ich oder ein anderer lesen kann. Auf die Reflexion während des Schreibens, die H. von Kleist als allmähliche Verfertigung der Gedanken hervorgehoben hat, werde ich später eingehen. Im Commonsense wird lesen oft für „schriftlich niedergelegte Gedanken aufnehmen“ verwendet. Hier ist von etwas ganz anderem die Rede. Hier spielt keine Rolle, wozu ich lese, sondern nur was ich mache, wenn ich lese. Ich beobachte zunächst den einfachsten, unmittelbaren Fall, in welchem ich mein handgeschriebenen Notizen oder ein Buch lese. Die technologische Metapher, in welcher Geräte „lesen“ (abtasten), behandle ich später separat.

Als Lesen bezeichne ich das bewusste Wahrnehmen der doppelten Gegenstandsbedeutung von Text, wobei ich den materiell hergestellten Gegenstand, den ich Text nenne, als Symbol betrachte, der mein sinnliches Wahrnehmen steuert und – beispielsweise via Wörterbücher – auf anderen Text verweist.

Nicht der Text kommt beim Lesen in meine Augen, sondern das am Text gebrochene Licht kommt als Signal auf meine lichtsensible Retina. Ich kann jeden materiellen Gegenstand sehen, weil er Licht bricht. Im Dunklen kann ich ihn nicht sehen und wenn ich ins Licht schaue, kann ich die Quelle des Lichts nicht sehen. Ich kann natürlich eine leuchtende Glühbirne sehen, wenn sie mich nicht blendet, also wenn mich das Licht für dessen Quelle nicht blind macht.

Wenn ich Text vertone, produziere ich anstelle der Lichtwellen fürs Auge Schallwellen fürs Ohr. Wenn ich spreche, erzeuge ich die Schallwellen ohne Werkzeug mittels meiner Sprechorgane. Wenn ich die Vertonung mit einem Computer mache, verwende ich ein Werkzeug, das mit meinen Sprechorganen sehr wenig Ähnlichkeit hat, aber dieselbe Funktion erfüllt.

Ich kann alle hergestellten Gegenstände, die nicht durchsichtig sind (siehe F. Heider), sehen. Aber sehr viele der hergestellten Gegenstände mache ich nicht dazu, dass ich sie sehen kann. Einen Hammer stelle ich nicht dazu her, dass ich ihn anschauen kann. Das Fensterglas wird sogar so gemacht, dass ich es nicht sehen kann. Gegenstände, die eigens dazu gemacht werden, dass ich sie betrachte, bezeichne ich als Symbole, wobei nicht alle Symbole Texte sind. Ein Kunstmaler schreibt nicht.

Den Zweck des Verweisens können Texte nur erfüllen, wenn ich sie als hergestellte Gegenstände wahrnehmen kann. Schriftzeichen müssen dazu einige Bedingungen erfüllen. Sie dürfen sich hinreichend lange nicht wie gesprochene Worte verflüchtigen, müssen als aus entsprechend festem Material bestehen, das sich aber trotzdem leicht formen lässt. Wenn die Schriftzeichen auf ein Trägermaterial wie etwa Papier aufgetragen werden, dürfen sie nicht dieselbe Farbe wie das Papier haben.

Entscheidend dafür, was ich als Text bezeichne, ist aber eine hinreichende Vielfalt der Schriftzeichen, damit sie auf verschiedene Gegenstände verweisen können.

Das erste Symbol, das ich erkenne, ist kein Symbol, sondern erfüllt die Funktion eines Symbols. Ein hergestellter Hammer erinnert mich daran, dass ich beispielsweise Nüsse öffnen kann, auch wenn meilenweit keine Nuss zu sehen ist. Er verweist auf Nüsse, aber eben auch auf anderes mehr. Im Hammer steckt meine Antizipation von Gelegenheiten für dessen Verwendung. Wenn ich einen Hammer herstelle, weiss ich nicht nur, wozu ich ihn herstelle, sondern auch, dass ich ihn in bestimmten Situationen immer wieder verwenden werde. Darin erkenne ich ein Kriterium des Werkzeugherstellens. Wenn ich ad hoc ein Hilfsmittel herstelle, dass ich nach dem Gebrauch wegwerfe oder liegen lasse, wie das nicht nur manche Tiere tun, ist es kein Werkzeug, sondern allenfalls ein Keimform des Werkzeuges. Der Hammer soll nicht verweisen, sondern als Werkzeug dienen. Er verweist aber ungewollt auf vieles. Er fungiert als externes Gedächtnis, das in mir viele Vorstellungen wachruft. In diesem Sinne erfüllt er die Funktion eines Symbols ohne ein Symbol zu sein, so wie er auch die Funktion eines Briefbeschwerers erfüllen kann.

Mit der Erfahrung dieser Symbolfunktion kann ich auch Symbole herstellen, die ich für nichts anderes verwenden kann oder will. Ich kann beispielsweise eine Kerbe in ein Holz schlagen oder einen Knopf ins Taschentuch machen. Die Kerbe im Holz hat auch auch eine Keimform in einer absichtlich hergestellten Spur an einem Baum (Markierung) am Wegrand, die etwas ganz andres ist, als die Spur im Schnee, die ich nicht vermeiden kann, die aber in der Literatur oft als Anzeichen bezeichnet wird. J. Derrida meint sogar, er könne jede Symbolverwendung auf diese Spur im Schnee dekonstruieren.

Die Kerbe, die ich in ein Holz schlage, ist ein Symbol für mich, solange nur ich weiss, wofür sie steht. Im Unterschied zu einer eigentlichen Spur oder einem Hammer zeigt die Kerbe – auch mir – nicht, wofür sie steht. Ich weiss aber natürlich, dass ich mit einer identischen Kerbe – vom Homonym abgesehen – nicht auf etwas anderes verweisen kann, ohne den Sinn des Verweisens aufzuheben. Verschiedene Referenzobjekte verlangen verschiedene Symbole – auch wenn ich die Symbole nur für mich selbst verwende.

Fortsetzung folgt

Sprache – Sprechen – Schreiben


„Es ist üblich, aber gleichwohl historisierend naiv, Text als Vergegenständlichung einer nicht-gegenständlichen Sprache aufzufassen, und so zu tun, als ob „Sprache“ sehr viel mit Bewusstsein und Geist, aber nur ganz wenig mit konstruierten, materiellen Strukturen zu tun hätte.“ Todesco, R.: Was heisst Konstruktion.

Sprache, Sprechen und Schreiben stehen hier als exemplarisches Beispiel dafür, wie ich vor dem Definieren Begriffe phänographisch trenne, die ich Wortfamilien und Wortfeldern zurechne, die ich auf Tätigkeiten zurückführen kann. Begriffe, die ich pragmatisch für anfassbare Gegenstände verwende, betrachte ich nicht als von Tätigkeiten abgeleitet. Hier geht es um Begriffe, die ich als Substantivierungen von Verben erkenne, die ich in diesem Sinne für Verdinglichungen oder Hypostasierungen von Tätigkeiten verwende. Sprache erkenne ich zunächst als Ableitung von Sprechen.

Bevor ich mir also Gedanken über das mache, was ich als Sprache bezeichne, unterscheide ich Sprache von Sprechen. Da ich bei meiner Begriffsbildung herstellende Tätigkeiten als primäre Kategorie verwende, beobachte ich anstelle des Sprechens das Schreiben, weil ich beim Schreiben materielle Gegenstände, beispielsweise Buchstaben aus Graphit herstelle.

Schreiben gehört nicht zur Wortfamilie von sprechen, es ist ein anderes Wort. In vielen Fällen kann ich aber eine Funktion erfüllen, indem ich spreche oder schreibe. Aufgrund dieser funktionellen Äquivalenz, spreche ich von einem Wortfeld, in welchem sprechen und schreiben eine wesentliche Bedeutung teilen. Die beim Schreiben hergestellten Gegenstände helfen mir, diese Bedeutung als Gegenstandsbedeutung zu verstehen.

Als Sprechen bezeichne ich dann eine Vertonung von Schriftzeichen, wie ich sie etwa beim Vorlesen erkenne. Ich muss die Schriftzeichen beim Sprechen nicht vor meinen Augen haben. Ich kann sie mir vorstellen. Beim Sprechen weiss ich, dass ich das Gesagte auch geschrieben haben könnte. Beim Schreiben stelle ich die Symbole als materielle Gegenstände her. Beim Sprechen verweise ich in dieser Notation mit Lauten auf diese symbolischen Gegenstände, was ich als Vertonung bezeichne. Ich könnte natürlich auch die Laute selbst als Symbole auffassen. Aber dann wären die Symbole keine hergestellten Gegenstände.

Ich gehe davon aus, dass sich das Sprechen und das Schreiben als Tätigkeiten entwickelt haben, also nicht in der heutigen Form auf die Welt gekommen sind. Sprechen muss keineswegs in wohlgeformten Sätzen passieren und schreiben kann ich ohne eine Grammatik zu kennen. Von Sprechen und Schreiben spreche ich aber in einem phänographischen Sinn nur, wenn ich damit auf etwas verweisen, was nicht aktuell ist. Beides beruht auf einem Verwenden von Symbolen, was in diesem Fall das Wortfeld bezeichnet.

Als Kleinkind lernte ich das Sprechen vor dem Schreiben. Mit der etwas überdehnten biogenetischen Regel von E. Haeckel könnte ich daraus folgern, dass die Menschen zuerst gesprochen und erst später geschrieben haben. Feststellen lässt sich das natürlich nicht. Hier verfolge ich aber ohnehin eine Perspektive, in welcher ich die Entwicklung der Sprache logisch-genetisch rekonstruiere. Dabei kümmert mich nicht, was in den Augen von Historikern zuerst war. Logisch-genetisch entscheidend scheint mir, dass Schreiben schon einen Sinn hat, bevor gesprochen wird, insbesondere weil ich beim Schreiben im Sinne von Aufschreiben etwas für mich tun kann, also keine Vereinbarungen mit anderen Menschen voraussetzen muss.

Eine Art Keimform des gegenständlichen Symbols erkenne ich in einer Zeichnung. Zeichnungen kann ich als Darstellung oder als Zeichen sehen. Zeichnen ist eine Tätigkeit, bei welcher ich wie beim Schreiben materielle Gegenstände herstelle. Wenn die Zeichnung nur als Zeichen dienen muss, kann sie sehr einfach sein, was die Logogramme der chinesischen Schrift als vormalige Zeichnungen zeigen. Der wohl ursprüngliche Fall von eigentlichen Symbolen sind Markierungen wie Kerben oder Gravuren, beispielsweise ein Anzahl Striche, die für eine Anzahl von Gegenständen steht, die gerade nicht zuhanden sind. Kerben auf einem Pfeilbogen können unter anderem etwa auf eine Anzahl erlegter Opfer oder auf einen bestimmten Besitzer verweisen. Es sind Symbole, die ich als Hersteller quasi mit mir selbst vereinbare. Ich weiss, woran mich die Kerben oder eben auch bestimmte Zeichnungen erinnern sollen. Auch wenn kein anderer Mensch wissen oder erkennen kann, worauf ich verwiesen habe.
Der Zweck der Symbole verlangt, dass verschiedene Symbole auf verschiedene Referenzobjekte verweisen und dass ich entsprechend viele verschiedene Symbole herstellen und unterscheiden kann. Ich kann Symbole so kombinieren, dass weitere Symbole entstehen. Ich kann dabei – wie es etwa die Chinesen tun – elementare Symbole zusammensetzen. Ich kann Symbole aber auch aus „Zeichenkörper“ zusammensetzen, die für sich keine Symbole sind. Das Symbol „Tisch“ besteht aus einer Aufreihung von Buchstaben, die nichts bedeuten, ausser eben dass sie als Schriftzeichen verwendet werden. Das Symbol Tisch kann ich nicht auf eine davorliegenden Zeichnung zurückführen, wie das bei den chinesischen Logogrammen immer noch oft getan wird.

Ich kann Symbole herstellen, ohne etwas zu schreiben. Das mache ich inbesondere beim Zeichnen. Damit ich das Herstellen von Symbolen als Schreiben bezeichne, muss ich die Symbole als Teile eines Textes auffassen. Als Text bezeichne ich eine Anordnung von Symbolen, die unabhängig davon, wozu ich den Text verwende, einer Grammatik entspricht. Als Texte sind sich ein Computerprogramm und ein Liebesbrief in diesem abstrakten Sinn gleich. Die Grammatik definiert, welche Schriftzeichen wie angeordnet werden können und mithin, was ich schreiben kann.

Beim Schreiben verwende ich neben – oder innerhalb – einer jeweiligen Grammatik die Zeichen einer jeweils bestimmten Schriftart, die festlegt, wie die Schriftzeichen im Sinne von Glyphen aussehen, also wie sie gezeichnet werden müssen. Durch die Schriftart – die ich ohne weiteres nur mit mir selbst vereinbaren kann – erreiche ich, dass ich verschiedenen Symbole reproduzieren und später wieder lesen kann.

Beim Schreiben verwende ich neben – oder innerhalb – einer jeweiligen Grammatik eine jeweils bestimmte Sprache, die festlegt, welche Symbole für welche Symbole stehen. Natürlich kann ich eine beliebige Sprache verwenden. In der Sprache, die ich hier verwende – ich bezeichne sie als deutsche Sprache – gibt es das Symbol „Tisch“. Das Symbol „Tisch“ steht für verschiedene andere Symbole, beispielsweise für das Symbol „ein Möbel, an welches ich mich beispielsweise zum Essen setze“. Diese Vereinbarungen lege ich durch Wörterbücher fest, die ich als semantische Lexika bezeichne.

Ob solche Wörterbücher Teil der Grammatik sind, ist einen Frage der Vereinbarung des Symbols „Grammatik“. Auch wenn ich hier von einer deutschen Sprache spreche, ist klar, dass es dafür unendlich viele verschiedene Vereinbarungen gibt. Korrekterweise muss ich von meiner je eigenen deutschen Sprache sprechen. Wenn die Sprache als Kommunikationsmittel zwischen verschiedenen Menschen verwendet wird, werden viele Unterschiede von den Beteiligten assimiliert. Wo das nicht funktioniert, werden die Wörterbücher nachgeführt.

Die Vertonung der Symbole beim Sprechen muss natürlich auch vereinbart sein, damit das Sprechen seine wesentliche Funktionen erfüllen kann, die darin besteht, mit bestimmten Geräuschen oder Lautfolgen auf die entsprechenden hergestellten Symbole zu verweisen. Es gibt mittlerweile Automaten, die Text so vertonen, wie ich es beim Vorlesen tue. Am PC kann ich mir Texte vorlesen lassen und umgekehrt kann ich sprechend Texte herstellen, die ich mir in beliebige Sprachen übersetzen lassen kann.

Ich spreche, wenn mir schreiben zu umständlich ist. Ich nehme dabei, wenn ich das Gespräch nicht aufzeichne, die Flüchtigkeit in Kauf. Sprache jedenfalls werde ich auf Schreiben beziehen.

Fortsetzung: Sprechen als Vertonung von Geschriebenem

Herstellen als primäre Kategorie


In der meiner Phänographie der Tätigkeit beschreibe ich, wie ich Symbole herstelle. Um das zu beschreiben, verwende ich Symbole, die ich als materielle Gegenstände herstelle, die also eine Gegenstandsbedeutung haben und auf ein Referenzobjekt verweisen. Ich beobachte das, was ich beobachte, als herstellende Tätigkeit, durch die ich in diesem Fall ein kompliziertes Symbol, einen Text, hervorbringe, das aus einfachen Symbolen besteht.

In der Reflexion beobachte ich, dass ich das Herstellen beobachte. Ich könnte auch etwas anderes beobachten, etwa was die Symbole bedeuten, aber ich beginne mit dem Herstellen. Ich bezeichne das Herstellen als meine primäre Kategorie. Als Kategorie bezeichne ich das Herstellen, weil ich es von etwas anderem unterscheide. Vorerst, im Sinne der Phänographie unterscheide ich das Herstellen von allen anderen Sachen, die ich auch beobachten könnte. Indem ich hier Herstellen als Kategorie bezeichne, verwende ich den Ausdruck sowohl für die Einheit der Unterscheidung als auch für die eine Seite dieser Unterscheidung. Das bezeichne ich in einer invertierten Anlehnung an N. Luhmann als re-entry, weil ich die Bezeichnung auf einer anderen Ebene wiederhole und so noch einmal einbringe.

Das Bestimmen von Kategorien unterliegt dem gleichen Problem wie das Definieren von Begriffen, weil ich in beiden Fällen Unterscheidungen einführe, die eine übergeordnete Einheit implizieren. Im Falle der Definition spreche ich von Genus proximum und Differentia specifica, also von Oberbegriff und Kriterium. Ich definiere etwa, dass eine Maschine ein bestimmtes Werkzeug sei, nämlich eines, das mit einem Motor angetrieben werde, wobei ich Werkzeug als Oberbegriff einführe. Aber für das Werkzeug habe ich dann keinen Oberbegriff mehr. Ich komme nicht umhin, phänographisch zu umschreiben, wovon die Rede ist.

Die Reflexion der Phänographie impliziert selbst eine Phänographie, in welcher ich beschreibe, was ich nicht beobachte, wenn ich das Herstellen beobachte. Ich beziehe mich dabei auf vorfindbare Beobachtungen, die ich als Weltanschauungen bezeichne. Viele Beschreibungen beginnen – der Bibel folgend – mit einer Beobachtung der Natur, die oft – von der Bibel etwas abweichend – als Universum mit Gestirnen aus Atomem gesehen wird. Zu solcher Natur gehört, dass es auf bestimmten Gestirnen Lebewesen gibt, die ihre Bedürfnisse befriedigen (müssen). Dass einige dieser Lebewesen sprechen oder etwas herstellen, kommt in solchen Geschichten erst weit hinten vor und dass sie sprechen, erscheint oft als Mittel des Überlebens. Die Menschen tun auch in solchen Geschichten allerlei, aber was sie wie tun, ist reaktiv auf Naturverhältnisse, die jenseits von Menschen gegeben sind. Als primäre Kategorie dient dann die universielle Natur, die auch nicht von etwas anderem unterschieden werden kann.

In meiner Phänographie spielt die Natur keine Rolle. Die Menschen tun, was sie tun, nicht weil eine oder ihre Natur das von ihnen verlangt. Meine Geschichte beginnt damit, dass Menschen etwas tun. Natur erscheint in dieser Darstellung allenfalls als Erklärungsprinzip.

Schliesslich könnte ich mich selbst auch in einer Art Solipsismus aufheben, also davon ausgehen, dass hinter allen Beobachtungen nichts ist, dass die Welt insgesamt aus Beobachtungen besteht, von welchen unerheblich ist, wer sie gemacht hat, die aber das einzige sind, was empirisch relevant vorhanden ist. Die Atome der Natur sind ja auch einfach da. So, wie ich beobachten kann, welche Atome sich wie wozu verbinden, kann ich auch beobachten, welche Wörter wo in der Welt vorkommen. N. Luhmann beispielsweise beobachtet ausschliesslich Kommunikationen, so wie eigentliche Mathematiker sich nur mit formalen Gebilden befassen, die nicht hergestellt wurden.

Formale Beschreibungen brauchen keine Phänographie. Problematisch werden sie nur, wo sie als Beschreibungen von etwas missverstanden werden. Schach beispielsweise wird sehr selten als Beschreibung von etwas aufgefasst. Mathematisch gemeinte Aussagen dagegen werden sehr oft auf Gegenstände bezogen, die in der Mathematik nicht vorkommen. Man spricht dann oft von einer Anwendung. Der Gegenstand, der von solchen Anwendungen betroffen sein soll, muss aber jenseits von Mathematik beschrieben werden. In einem typischen Fall sind das physikalische Gegenstände, die durch die Wahl einer primären Kategorie wie etwa Natur bestimmt sind.

Wenn formale Philosophien wie jene von N. Luhmann nicht als Glasperlenspiel wie Schach gelesen werden, muss phänographisch geklärt werden, worauf sie bezogen werden, im Falle der luhmannschen Systemtheorie etwa, was Kommunikationen sein sollen. Ich führe diese Beispiele an, um zu zeigen, wie beliebig die Wahl der primären Kategorie ist. Die Beobachtung 2. Ordnung beobachtet die je gewählte Anschauung durch Explikation der verwendeten Kategorien.

Hier geht es um das Herstellen von Symbolen, das durch Formen von Material passiert. Das Formen von Material beobachte ich nicht als Erfindung. Die Fähigkeit Material zu formen, beobachte ich als den Menschen naturwüchsig zugefallen, sie tun es. Wie ich was forme, beruht dagegen auf einer kulturellen Entwicklung, die ich als Technik bezeichne. Wenn ich zeichne, forme ich Material. Ich gebe beispielsweise dem Graphit, das ich mit dem Bleistift auf ein Papier auftrage, eine von mir intendierte Form.

Reflexion der Phänographie


Den Ausdruck Reflexion verwende ich homonym auch für das Abprallen einer Welle an der Grenzfläche zwischen zwei Medien, etwa an einem Spiegel, in der Art, dass die Welle in jenem Medium zurückläuft, in welchem sie gekommen ist. Der Spiegel zeigt mir dadurch ein Bild von mir. Eine Fotografie, die mich zeigt, oder ein entsprechendes Gemälde erfüllt dieselbe Funktion als hergestellter Gegenstand ohne diese physikalisch gesehene Reflexion. In all diesen Fällen sehe ich nicht mich, sondern meinen Körper zu einer je bestimmten Zeit. Die Metapher, die nicht die Lichtwelle bezeichnet, reflektiert, dass ich mich selbst durch die Verwendung eines hergestellten Gegenstandes wie eines Spiegel oder eines Bildes wahrnehmen kann.

Wenn ich in einen Spiegel schaue, sehe ich normalerweise den Spiegel nicht. Ich sage, dass ich in den Spiegel schaue. Physiologisch nehme ich dabei das zurückgeworfene Licht wahr. Ich kann aber natürlich auch den Spiegel betrachten. Wenn ich ein Zeichnung von mir betrachte, sehe ich das Papier so wenig, wie ich einen Spiegel sehe. Ich sehe mich. Bei der Zeichnung sehe ich aber immer auch, dass gezeichnet wurde. Der Spiegel und das Papier sind hergestellte Gegenstände. Das Spiegelbild ist aber im Unterschied zur Zeichnung kein Gegenstand. Das Spiegelbild ist wie gesprochene Wörter flüchtig. Ich kann mich und andere auch sprechen hören. Aber die Reflexion ist dann auf eine auch flüchtige Erinnerung angewiesen. In der Zeichnung ist die Reflexion durch die Herstellung vermittelt.

In der hier gemeinten Reflexion beobachte ich auch nicht mich selbst, sondern das, was ich schreibend hergestellt habe. Ich lese dabei nicht meinen Text, den ich ja kenne, sondern beobachte die im Text verwendeten Unterscheidungen, deren jeweilige Einheit ich als Kategorie bezeichne. Mit Kategorie beschreibe ich die Anschauung (theorein), nicht das Angeschaute. Ein Auto beispielsweise ist rot oder hat die Farbe rot. Rot ist eine Eigenschaft des Autos. Dass ich die Farbe des Autos beobachte, beruht auf meiner Wahl der Kategorie. In diesem Fall könnte ich vergleichsweise auch zwischen einem Schwarzweiss- und einem Farbfilm wählen. Eigenschaftsdomäne und Kategorie werden oft verwechselt oder gleichgesetzt. Die Eigenschaftsdomäne bezeichnet den Wertebereich der Eigenschaft. Die Kategorie bezeichnet, dass in der Beobachtung beispielsweise Eigenschaften oder Domänen unterschieden werden.

Ein Text kann beschreiben, wie ich aussehe. Er zeigt dann dasselbe wie eine Zeichnung, auf welcher ich zu sehen bin, einfach auf eine andere Art. Die Zeichnung ist analog, der Text digital. Zeichnungen, die ich herstelle, sagen etwas über mich. Und Texte, die ich schreibe, sagen sehr viel über mich, vor allem auch, wenn sie gar nicht mich beschreiben. Sie implizieren die Kategorien, die ich verwende. Sie zeigen – auch mir – wie ich die Welt wahrnehme.

Das Beobachten von Kategorien bezeichne ich als Beobachten 2. Ordnung. Ich kann meinen Text beobachten, indem ich wieder einen Text herstelle, einen Text über den beobachteten Text, den ich im Prinzip wieder beobachten könnte. Hier will ich aber meine Reflexion der Phänographie beobachten.

Ich will dazu noch eine Anmerkung zu Wissenschaft und Philosophie machen. Von P. Feierabend gibt es den Spruch „anything goes“, der oft – etwas blödsinnig – für „die wissenschaftliche Methode gebe es nicht“ gelesen wird. Ich habe keine Ahnung, was P. Feierabend sagen wollte, aber Wissenschaft unterscheide ich von Philosophie dadurch, dass in der eigentlichen Wissenschaft gemessen wird. Was wie gemessen wird, mag im Sinne von anything goes gleichgültig sein, aber ich kenne kein Messen, das ohne hergestellte Gegenstände geht. Durch das Messgerät ist immer auch eine Methode gegeben.

Die Philosophen sprechen auch von Methoden, wo sie Rhetorik meinen, also bestimmte Weisen des Argumentierens, die sich in ihren Texten zeigen. Eigentliche Wissenschaften argumentieren nicht, aber viele Wissenschaftler argumentieren. Ihre wesentlichste Argumentation – gegen die wohl anything goes gerichtet ist – betrifft die pragmatische Wahl der Messoperationen. Dabei wird immer eine Weltanschauung impliziert, jenseits derer kein Messen einen Sinn hätte.

Den Ausdruck Phänographie hat K. Holzkamp als Wissenschaftler in einer ablehnenden Anlehnung an E. Husserls philosophische Phänomenologie eingeführt. E. Husserl hat die Beobachtung der Sprache, die er als Begriffsexplikation bezeichnete, als Mittel jeder Erkenntnis gesehen und hat damit die Philosoph zwar kritisiert, aber nicht hinter sich gelassen, weil er immer noch einer Erkenntnislehre verhaftet blieb. K. Holzkamp hat erkannt, dass auch jede Wissenschaft Sprache voraussetzt, also ihren Gegenstand nur mittels Sprache bestimmen kann. Seine Wahrnehmungslehre hat er aber nicht durch seine Sprache begründet, sondern durch eine naturgeschichtliche Lehre, in welcher Sprache gerade keine Rolle spielt, obwohl sie erzählt wird. Für beide ist Sprache ein unverstandenes Phänomen geblieben. Ich schreibe hier vom Schreiben, nicht von Sprache, ich werde dafür aber explizit sagen, was ich als Sprache bezeichne. Ich unterscheide Sprache und Sprachen als zwei ganz verschiedene Sachen, sprechen kann ich nur eine Sprache, nicht die Sprache oder Sprache überhaupt.

Zur Phänographie der Tätigkeit


Als Phänographie bezeichne ich definitorische Bestimmungen, in welchen nicht die Sache selbst zur Kenntnis gebracht wird, sondern mit welchen als bekannt vorausgesetzten Wörtern die Sache schliesslich behandelt werden soll. Sie dienen in einem noch nicht begrifflichen Sinn der Verdeutlichung, worum es überhaupt gehen soll, und was später durch schärfere Abgrenzungen, Ordnungen und Klassifikationen genauer bestimmt werden soll. Phänographische Auseinanderlegungen gehören zu den definitorischen Bemühungen in einem weiteren Sinn, es geht also nicht, wie in eigentlichen Definitionen, um möglichst präzise Bestimmungen des genus proximum und der differentia specifica zu Klassifikationszwecken, sondern zunächst nur um Heraushebungen relevanter Züge dessen, wovon die Rede sein soll, wobei sich aber erste Abgrenzungen zwangsläufig mitergeben. Das phänographische Verfahren hat nichts zu tun mit der Phänomenologie von E. Husserl, in welcher durch schrittweises Absehen von den alltäglichen Gegebenheiten philosophische Ursprungsaussagen möglich sein sollen. Die Phänographie dient nur der deskriptiven Verdeutlichung der je verwendeten Sprache.

In der folgenden phänographischen Kennzeichnung der menschlichen Tätigkeit stelle ich das alltägliche Vorwissen einer geringfügig expliziteren Form seiner selbst gegenüber. Bestimmte Züge dessen, was jeder eigentlich ohnehin über seine Tätigkeit weiss, soll damit durch umgangssprachliche Umschreibung besser besprechbar werden.

Handlung und Tätigkeit – Deutungszusammenhang

Als Tätigkeit bezeichne ich ein jeweils bestimmtes Tun jenseits von konkreten Handlungen. Das Ausüben einer Tätigkeit mit einem Ziel bezeichne ich als Handlung. Schreiben ist die Tätigkeit, einen Brief schreiben, ist eine Handlung. Ich schreibe eigentlich nie, ich schreibe immer etwas. In der Volksschule lerne ich schreiben quasi unabhängig davon, wozu ich es brauchen kann. Dabei geht es um die Tätigkeit, aber in einem sehr spezifischen Sinn, den ich als üben oder lernen bezeichne. Der Sinn liegt dabei nicht im Aufgeschriebenen. In höheren Schulen lerne ich dann, wie man einen Brief schreibt. Dabei wird vorausgesetzt, dass ich schreiben kann. Der Sinn liegt dann in der rhetorischen Anordnung des Aufgeschriebenen.

Ich nehme wahr, dass jemand schreibt, weil ich sein Verhalten als schreiben deute. Das kann ich nur, wenn ich weiss, was schreiben ist. Ich muss Schrift erkennen und wissen, wozu man etwas schreibt. Dieses Wissen bezeichne ich als Deutungszusammenhang. Wenn ich das Handeln des Schreibenden nicht als Handlung deute, kann ich Operationen erkennen, durch welche beispielsweise Tinte auf einem Papier so verteilt wird, dass bestimmte Figuren entstehen. Auch in diesem Fall kann ich erkennen, dass der Schreibende etwas tut, auch wenn ich nicht erkennen kann, welches Ziel er damit verfolgt.

Herstellende Tätigkeit

Ich unterscheide Tätigkeiten mit einem unmittelbareren von solchen mit einem mittelbaren Sinn. Ich esse und trinke. Ich kann sammeln und jagen. Das machen viele Tiere auch. Sie machen es mir in dem Sinne vor, dass sie damit – wie ich – ihren leiblichen Stoffwechsel organisieren. Die Teile dieser Tätigkeiten, die ich nicht selbst ausführen muss, bezeichne ich als Arbeit, die anderen als Konsumption. Zur Konsumption rechne ich auch Tätigkeiten wie Schwimmen, Wandern oder Lesen, die sich selbst genügen.

Tätigkeiten mit einem mittelbaren Sinn beziehen sich auf anschliessende Tätigkeiten, ohne die sie keinen Sinn hätten. Das Anbauen von Korn wäre sinnlos, wenn das Korn nicht konsumiert würde. Zu den mittelbaren Tätigkeiten gehören insbesondere auch die herstellenden Tätigkeiten. Als herstellende Tätigkeit bezeichne ich Tätigkeiten, bei welchen ein materieller Gegenstand hergestellt wird. Es geht dabei also nicht darum, gedankliche Beziehungen oder mentale Pläne im umgangssprachlichen Sinn herzustellen, sondern darum, Material zu formen, wodurch ein Artefakt entsteht.

Exemplarisch für mittelbare Tätigkeiten ist das Herstellen von Werkzeugen, die immer als Mittel verwendet werden. Jedes Herstellen entwickelt sich zu einem Herstellen mittels Werkzeugen. Bei hergestellten Gegenständen unterscheide ich Arbeits- und Konsumtionsmittel. Mit einem Messer kann ich arbeiten, mit einer Brücke oder einem Haus nicht. Arbeitsmittel bezeichne ich als Werkzeuge. In der Produktion verwende ich Produktionsmittel, wozu ich auch Konsumptionsmittel rechne, die nicht unmittelbar konsumiert werden.

Jedes Mittel steht für etwas anderes. Eine Brücke stelle ich her, weil ich auf die andere Seite will, ein Messer, weil ich etwas schneiden will. Eigentliche Werkzeuge sind in diesem Sinne aber Mittel, die für andere Mittel stehen. Und soweit sie Gegenstände sind, sind sie Gegenstände, die für etwas stehen. Dass ein Gegenstand für etwas steht, liegt in dessen Gegenstandsbedeutung, die ich dem Gegenstand gebe, wenn ich ihn herstelle. Wenn ich etwas herstelle, weiss ich, wozu ich es tue. Wenn ich bei einer Ausgrabung ein Artefakt finde, kann ich vielleicht nicht erkenne, wozu es ist, ich muss es deuten, aber ich stelle keine Artefakte her, sondern Gegenstände mit einer Bedeutung.

Ich kann einen Hammer zum Schmieden einer Sichel verwenden. Ich kann einen Hammer auch als Briefbeschwerer verwenden. Dann erfüllt der Hammer eine Funktion, die nichts mit seinem Zweck zu tun hat. In beiden Fällen dient er mir als Mittel. In einem gewissen Sinn verweist der Hammer durch seinen Zweck auf eine Sichel. Wenn ich einen Hammer sehe, sehr ich, was ich mit dem Hammer machen kann, wozu er hergestellt wurde, was seine Bedeutung ist. Warum oder wie ich das erkennen kann, weiss ich nicht, das ist Teil meiner Natur.

Dass Gegenstände, insbesondere Werkzeug, auf etwas verweisen, macht sie nicht zu Symbolen. Sie werden nicht dazu hergestellt, auf etwas zu verweisen. Ich kann die Bedeutung eines Werkzeuges aber nicht erkennen, ohne zu erkennen, worauf es verweist. Ein Werkzeug fungiert in diesem Sinn auch als externes Gedächtnis. Es erinnert mich immer auch an die Tätigkeiten, für die ich es verwenden kann.

Wenn ich ein Werkzeug herstelle, weiss ich auch, dass es als Gedächtnis fungiert, dass ich dessen Bedeutung jederzeit wiedererkennen kann. Es gibt viele Mensch-Tier-Vergleiche, in welchen problematisiert wird, dass Tiere, die gegenständliche Mittel herstellen, diese nur ad hoc benutzen, so wie ich etwa in einer gegebenen Situation einen Stein oder einen Stock benutze, ohne ihn dann aufzubewahren. Hier spielt aber keine Rolle, was Tiere machen oder können und was nicht. Hier geht es darum, dass ich erkenne, dass ich hergestellte Bedeutungen wiedererkennen und dass ich künftige Gebrauchssituationen antizipieren kann.

Ich kann insbesondere auch Gegenstände herstellen, die keinen anderen Zweck haben, als als Verweise zu dienen. Solche Gegenstände bezeichne ich als Symbol.

Zeichnung und Zeichen

Warum ein Hammer wie ein Hammer aussieht, rechne ich der Natur zu. Natürlich kann man in der Entdeckung des Hebels und im Stil des Hammers Erfindungen sehen. E. Kapp begründete seine, und damit die Technikphilosophie insgesamt mit einer skurilen Organprojektion, in welcher der Hammer (er spricht von der Axt) die Form des menschlichen Armes hat. Im Film Space Odyssey zeigt S. Kubrik einen Oberschenkelknochen mit dem Kopf an einem Ende als ersten Hammer, der von einem Noch-Tier verwendet wird.

Als Hammer bezeichne ich ein Werkzeug, bei welchem zwei Teile so verbunden sind, dass das eine als Stiel und das andere als Kopf, mit welchen aufgeschlagen wird, dient. Die Verbindung zwischen Kopf und Stiel ist dabei das technische Problem, das gelöst werden muss. Es gibt sehr viele Varianten, einige sind aktuell rezent, das heisst noch in Gebrauch, andere haben sich nicht sehr bewährt. Bei Menschen, die in technisch unentwickelten Gebieten leben, gibt es noch sehr einfache Verbindungen zwischen den Stiel und Kopf. Aber die eigentliche Form des Hammers liegt auf der Hand. Sie als Erfindung zu bezeichnen, ist Teil einer erfundenen Geschichte, die hier keine Rolle spielt. Im Kontext dieser Phänographie ist sinnenklar, was ein Hammer ist und wie ein Hammer aussieht – auch wenn kein Mensch weiss, wie der erste Hammer gemacht wurde und warum der Gegenstand Hammer heisst.

Ich kann einen Hammer herstellen oder einen Hammer zeichnen – wenn ich es kann. Beides ist Gattungsvermögen, unabhängig davon, ob ich gerade diese Fähigkeiten nicht oder nicht sehr entwickelt habe. In beiden Fällen stelle ich einen Gegenstand her, indem ich Material forme. Die Formen sind in gewisser Hinsicht analog. Der gezeichnete Hammer sieht in dieser Hinsicht wie der hergestellte Hammer aus. Die Zeichnung des Hammers verweist durch die analoge Form auf den Hammer. Ein Hammer, der wie ein anderer Hammer aussieht, ist in diesem Sinne kein Verweis, sonder ein Hammer. Die Zeichnung dagegen kann ich nicht nur nicht als Hammer verwenden, ich erkenne auch, dass sie kein Hammer ist, also für etwas anderes hergestellt wurde. Ceci n‘ est pas un marteau.

So wie ich den Zweck des Hammers erkenne, erkenne ich auch den Zweck der Zeichnung. Sie verweist auf den Hammer. Und so, wie ich den Hammer jenseits seines Zweckes, beispielsweise als Briefbeschwerer verwenden kann, kann ich auch die Zeichnung jenseits ihres Zweckes deuten. Ich kann sie beispielsweise als Kunstwerk betrachten und ihr so eine Funktion zuschreiben, die mit dem Zweck des Abbildens nichts zu tun hat.

Wenn ich eine Zeichung als Mittel zum Verweis herstelle, stelle ich ein Symbol her. Das Symbol ist ein Mittel zum Verweisen. Es steht für etwas anderes, und ich kann erkennen, wofür es steht, wofür es hergestellt wurde, was seine Bedeutung ist. Dass ich eine Zeichnung als Verweis betrachte, betrachte ich als naturgegeben. Ich erkenne durch Rauch ein für mich nicht sichtbares Feuer, durch Spuren im Schnee meinen Vorgänger und durch dunkle Wolken, dass es regnen wird. Natürlich kann ich mich im Einzelfall irren, hier geht es aber darum, dass ich die Zusammenhänge erkenn, und allenfalls auf Erfahrungen zurückführe, wenn ich eine vermeintliche Erklärung dafür will.

Eine Wolke ist kein Symbol, weil sie nicht hergestellt wird, ich bezeichne sie als Anzeichen und sage durch die Vorsilbe, dass sie kein eigentliches Zeichen ist. Spuren und Rauchzeichen können absichtlich produziert werden, darauf werde ich später zurückkommen.

Die Zeichnung bezeichne ich als ikonisches Symbol, weil ich förmlich sehe, wofür sie steht, auch wenn ich nicht weiss, was mir mit der Zeichnung mitgeteilt werden soll. Dass Zeichnungen als Kommunikationsmittel dienen können, ist zunächst sekundär. Ich kann gut für mich zeichnen, und weil ich kein Künstler bin, tue ich es gelegentlich sogar. Die Zeichnung ist nur eine – sehr anschauliche – Form des gegenständlichen Verweisens. Ich kann die Zeichnung auf ein Zeichen reduzieren, das nicht mehr zeigt, worauf es verweist, sondern nur noch zeigt, dass es verweist. Eigentliche Symbole sind vereinbart. Worauf die Buchstabenkette „Tisch“ verweist, muss ich lernen. Ich muss die Vereinbarung kennen.

Ich stelle Symbole für mich als externe Gedächtnisse her. Wenn ich beispielsweise einen Einkaufszettel schreibe, muss nur ich wissen, welche Zeichen wofür stehen, aber ich muss es im Lebensmittelgeschäft immer noch wissen. Wenn ich ein X für Nudeln verwende, erinnert mich das X beim Einkaufen daran, dass ich Nudeln kaufen will, aber wofür, dass das X steht, mache ich in hinreichend einfachen Fällen keinen weiteren Zettel. Ich weiss aber, dass es Wörterbücher gibt, die als Zettel für Zettel fungieren.

Der wohl typische oder ursprüngliche Fall von Symbolen sind Markierungen wie Kerben oder Gravuren, beispielsweise ein Anzahl Striche, die für eine Anzahl von Gegenständen steht. Kerben auf einem Pfeilbogen können unter anderem etwa auf eine Anzahl erlegter Opfer oder auf einen bestimmten Besitzer verweisen. Es sind Symbole, die der Hersteller quasi mit sich selbst vereinbart.

Der Zweck der Symbole verlangt, dass verschiedene Symbole auf verschiedene Referenzobjekte verweisen und dass ich entsprechend viele verschiedene Sybole herstellen und unterscheiden kann. Ich kann Symbole so kombinieren, dass weitere Symbole entstehen. Ich kann dabei – wie es etwa die Chinesen tun – elementare Symbole zusammensetzen. Ich kann Symbole aber auch aus „Zeichenkörper“ zusammensetzen, die für sich keine Symbole sind. Das Symbol „Tisch“ besteht aus einer Aufreihung von Buchstaben. Bestimmte Symbolfolgen bezeichne ich als Texte, die Symbole, die ich in Texten verwende, bezeichne ich als Schriftzeichen, sie sind Elemente von Schriften. Das, was ich als Schrift überhaupt bezeichne, ist – wie Sprache – keine Erfindung sondern ein Deutungszusammenhang, durch den ich das Schreiben als solches, also als Textherstellung erkenne. Schrift ist typografieabstrakt generalisiert, sie differenziert die Schriftzeichen ohne deren konkrete Form (Glyphe) festzulegen, was für Handschriften zwingend ist und die Typografie, die sich mit der Form von konkreten Schriftzeichen befasst, möglich macht.

Fortsetzung: Reflexion der Phänographie

Das nicht so dunkle Mittelalter


Ich erzähle Dir diese Geschichte nur ganz grob. Die Griechenrömer von Aristoteles bis Cäsar waren ganz verruchte Verbrecher, die ihre sogenannte Kultur, an welcher ganz wenige Menschen teilhatten, auf Sklavenhaltung begründeten. Mir ist schleierhaft, wie man von solchen Sklavenhaltern mit auch nur der geringsten Achtung sprechen kann. Die Sklaven wehrten sich natürlich und wurden anfänglich wie Jesus ans Kreuz geschlagen. Mit der Zeit jedoch konnte die herrschende Clique den Sklaven nichts mehr entgegenhalten, ihr Einfluss zerbrach. Die Sklaven machten sich selbständig, sie wurden zu Menschen.

Du siehst, die griechisch-römische Zivilisation ist tiefste Nacht und ihr Untergang im sogenannten Mittelalter ist unsere Morgenröte. Der technisch-kulturelle Standard, den die Römer mit Sklavenblut entwickelt haben, zerfiel in den Aufständen. Das haben die ehemaligen Sklaven in Kauf genommen, sie wollten lieber Menschen sein als sicher versorgte Haustiere. Das, was wir Christentum nennen, ist unsere Befreiung aus der Sklavenzivilisation der eigentlichen Barbaren, die uns Barbaren nannten. Mit einem einzelnen Christus, wie er in der Legende lebt, hat das nichts zu tun, auch wenn die Prinzipien, die Jesus zugeschrieben werden, in dieser Phase der Menschwerdung absolut wichtig waren. Die christliche Moral stammt nicht aus den Wüsten Judäas, sondern aus dem Befreiungskampf in Rom.

Jedenfalls begann im zerfallenden römischen Reich eine dezentrale Kultivierung des Landes, das sich die ehemaligen Sklaven genommen hatten. Da die kulturellen Leistungen der Griechen und Römer sehr selektiv auf kriegerische Unterdrückung und Luxusgüter bezogen waren, hatten die Sklaven praktisch keine brauchbaren Werkzeuge geerbt, sie mussten sie selbst entwickeln. Da mit dem Staatsterrorismus auch die Infrastruktur zerfiel, mussten überdies alle Erfindungen mehrfach gemacht werden, weil zunächst niemand mehr für deren Verbreitung sorgte.

Als die Römer noch richtig am Drücker waren, kreuzigten sie alle, die gegen ihre Herrschaft aufbegehrten. Erst viel später in der katholischen Theologie wurde die römische Unterdrückung mit dem Löwenzirkus ausgeschmückt zur Christenverfolgung umfunktioniert. Den Römern war völlig gleichgültig, was ihre Sklaven glaubten, solange sie nicht aufbegehrten. Aber die Sklaven begehrten auf. Revolutionen – und die ›christliche‹ in Rom war unsere wichtigste und weittragenste Revolution – Revolutionen haben immer auch eine geistige, ideologische Ebene. Im sterbenden Rom wurde eben das Christentum geschaffen.

Die Sklaven, die nun keine mehr waren, arbeiteten und beteten. Natürlich hatten diese Christen noch viele Götter und noch fast keine Priester, da sie sich am Anfang sicher nur die ersteren leisten konnten. Aber schon nach kurzer Zeit wurden einige Sekten ziemlich dominant, der erfolgreichste Sektengründer hiess Benedikt von Nursia, er schrieb keine hundert Jahre nach dem Zerfall von Rom seine Klosterregeln, mit denen er ein Imperium gründete, von welchem die Römer nicht einmal zu träumen wagten. Du weisst, wie mächtig die Kirche selbst noch heute ist. Mit seinem Gebot ‹Bete und arbeite‹ regelte der Benediktiner die Arbeitszeit, indem er vorschrieb, wann gebetet werden musste. Die Klöster wurden zu Knotenpunkten der neu aufgebauten Infrastruktur. Weil die römischen Stadthalter ihre Festungen an den gut ausgebauten römischen Strassen am längsten verteidigten, gerieten die Klöster geographisch alle etwas ins Abseits, was ihrer Verbreitung aber keinen Abbruch tat. Später zerfielen das ganze römische Strassennetz und auch alle Bewässerungsanlagen, weil sich das christliche Leben an anderen Orten angesiedelt hatte, so dass die Strassen nichts mit nichts statt Klöster verbunden hatten.

Benedikt und seine Komplizen, die sich die geistige Verbundenheit der neuen Menschen zunutze machten, führten zunächst im Kloster wieder differenzierte Hierarchien und Arbeitsteilung ein. Bald hielten sich die Pfaffen Knechte, bald nahmen sie das Land in Besitz. Das Gerangel um die Macht und Grundbesitz fing von neuem an. Natürlich liessen sich auch nie alle römischen Stadthalter verdrängen. Sie konvertierten und gründeten in städtischen Zentren Kirchen, um die Klöster mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Bald wurde auch in den vormals römischen Städten gebetet, Bischöfe und Päpste wurden kreiert.

Die Klöster wehrten sich mit Lehensgütern, die sie jenen gewährten, die ihnen dafür kriegerischen Schutz der Hoheitsrechte gewährten. Rasch mauserten sich kleine Verbrecher zu Rittern mit Macht, die sich abwechslungsweise von Kirchen und Klöstern in adelige Ränge hochheben liessen. Häufig waren auch die Klosterherren selbst Ritter und Adelige, weil sie sich gegenseitig in die Stände hoben.

Das Mittelalter war keineswegs eine dunkle Zeit, vielmehr wird heute verdunkelt, wo alle Reichtümer der Kirche und des Adels herkommen. Natürlich gab es auch immer Christen, die sich gegen die Kirche mit ihren vollgefressenen Pfaffen wehrten. Eine berühmte unter vielen erfolglosen christlichen Gegenbewegungen, die Armut predigten, waren die Franziskaner. Franz, der Gründer dieser Bewegung, wusste aus eigener Erfahrung, dass Reichtum das grösste Laster ist. Er erfand den langhaarigen, besitzlosen Christus, der viel später auch Vorbild der Hippiebewegten wurde.

Die Benediktiner waren ausgeprägte Politiker, sie monopolisierten Christus, indem sie sehr gelehrte Gespräche darüber führten, was Jesus von Besitz gehalten haben musste. Vordergründige Schwätzer und Populisten, die sich von den wirklichen Christen aushalten liessen. Selbstverständlich gelang ihnen dies nicht, weil die Christen je auf ihr Geschwätz hereingefallen wären, sondern ausschliesslich durch brutale ökonomische Unterdrückung.

Die Frage ist, wie wir die Benediktiner wenigstens teilweise losgeworden sind. Was die Benediktiner wirklich erledigte, war die bürgerliche Produktion in Manufakturen, die die Benediktiner in ihrem Wachstums- und Grössenwahn selbst begründeten. Mit dem zünftigen Handwerk konnten die Klöster mithalten, weil sie selbst viel handwerkliches Wissen monopolisiert hatten. Sie gaben dieses Handwerkswissen wie Lehen an bestimmte Handwerker in den Städten ab, die versprechen mussten, das Wissen weiter im Monopol zu halten. Die Handwerker gründeten dazu Zünfte, die durch die Mächtigen und mithin von den Klöstern zunächst geschützt wurden und deshalb rasch zur Blüte kamen. Durch das Manufakturwesen wurden die Zunftherren aber rasch so reich, dass sie ihre Unterordnung unter die herrschende Kirche abschütteln konnten. Dabei verrieten die Bürger grosses Geschick, indem sie Reformatoren anstellten und so ebenso christlich blieben wie die alteingesessenen Ausbeuter. Es gab einige sogenannte Religionskriege, die mit Religion so viel zu tun hatten wie mit Bierwurst, und in der Folge einige kleinbürgerliche Revolutionen, die dann das Mittelalter restlos verabschiedeten.

Natürlich wechselten dabei die Zentren der Infrastruktur von neuem. So wie die Klöster zuvor abseits der römischen Zentren entstanden, entwickelte sich das Bürgertum abseits der kirchlichen Machtzentren. In der Schweiz sticht das noch heute in die Augen. Einstmals wichtige Kirchenstädte wie Chur, St. Gallen, Freiburg und so weiter sind völlig bedeutungslos geworden, reformierte Orte, vorab Zürich und Genf, sind als Kapitaltauschplätze aus dem Nichts heraus quasi über Nacht gross geworden, weil die Reformatoren unter dem Diktat der Zunftbürger Zins nehmen aus dem Sündenreigen verbannten. Unter der katholischen Kirche war Zins nehmen nur den Juden erlaubt, die davon zwar gut lebten, aber als kleine und kontrollierte Minderheit nie richtig mächtig werden konnten. Reformation heisst vor allem Reformation des Zinswesens, die Reformation war der Geburtstag der Banken.

Das Mittelalter ist die Zeit des Werkzeuges. Das Ende des Mittelalters ist die Erfindung der Maschine.
Das Mittelalter ist die Zeit der Münzen. Das Ende des Mittelalters ist die Erfindung des Geldes.
Das Mittelalter ist die Zeit der Vasallen (Lehnswesen). Das Ende des Mittelalters ist die Erfindung des Nation.

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Am Anfang war die – herstellende – Tat …


Die folgende Reflexion geht davon aus, dass es den Anfang nicht gibt, dass jeder Anfang hergestellt wird und jedes Herstellen seinen Anfang hat. Das Herstellen selbst hat keinen Anfang, es ist Teil der Arbeit, die ein naturwüchsiger Kreislauf ohne Anfang ist. Ein natürliches Leben würde ich ohne jedes Herstellen führen. Jedes Tier macht es mir vor. Ich muss auch im unnatürlichen Leben, in welchem ich nur aneigne, was andere hergestellt haben, nichts herstellen. Aber manche Dinge sind hergestellt.

Jedes Herstellen beobachte ich als Formen von Material. Bevor etwas geformt wird, gibt es kein Material. Zu Material wird etwas, indem ich es beim Herstellen verwende. Was hergestellt wurde, bezeichne ich als Artefakt. Jedes Artefakt besteht aus Material und hat eine spezifische Form, die es durch die Herstellung bekommen hat.

Wenn ich schreibe – was ich hier aktuell mache -, stelle ich Text her. Text ist, was immer Text sonst auch noch ist, ein hergestellter Gegenstand. Wenn ich schreibe, forme ich Material. Ich forme beispielsweise mit einem Bleistift Graphit auf einem Papier. Wenn ich schreibe, stelle ich Exemplare von Schriftzeichen her, die ich exemplarisch anordne. Ich stelle unter anderem Buchstaben her, die ich zu Wörtern und Sätzen anordne. Exemplare sind keine Kopien, aber ihre Form geht dem jeweiligen Herstellen voraus. Ich kenne die Form der Buchstaben, die ich herstelle und ich kenne die Wörter, die ich durch die Anordnung der Buchstaben herstelle.

Die Buchstaben haben eine Gegenstandsbedeutung, die ich als Zweck des jeweils geschriebenen Zeichens bezeichne. Der Zweck der Buchstaben besteht darin, das Licht im Auge des Lesers zu strukturieren. Ich verwende Buchstaben als Bausteine zur Herstellung von Symbolen, die aus Buchstabengruppen bestehen, die ich als Wörter bezeichne. Die Anordnung von Buchstaben und von Wörtern in einem Text unterliegt einer Grammatik, ich kann sie nicht beliebig anordnen, wenn ich Text herstelle. Als Anordnung von Buchstaben ist auch Text ein Exemplar, aber viele Texte repräsentieren ein Original, das gerade kein Exemplar ist, auch wenn viele Kopien davon hergestellt werden. Exemplare sind untereinander gleich, Originale sind verschieden. Texte unterscheiden sich durch der Anordnung von Wörtern, die aus derselben Menge stammen. Die Wortfolgen, die in einem Text vorkommen können, sind durch die Syntax der jeweiligen Sprache beschränkt.

Beim Schreiben stelle ich Artefakte her. Form und Material sind durch den Zweck des Gegenstandes beschränkt. Ein Rad muss rund sein, eine Brücke muss Spanweite haben und sich tragen. Buchstaben eines Textes müssen sichtbar sein und in einem Grössenverhältnis zueinander stehen. Texte bestehen aus dreidimensionalen Gegenständen, die in einer Ebene angeordnet sind.

Beim Schreiben stelle ich Artefakte her, die für etwas anderes stehen. Das, worauf ich mit Schriftzeichen verweise, bezeichne ich als Referenzobjekte. Wenn ich jemandem erläutern will, wie ich beispielsweise das Wort Tisch verwende, zeige ich ihm praktisch nie einen Tisch und ganz sicher gar nie eine mentale Repräsentation eines Tisches, ich erläutere das Wort, indem ich andere Worte dafür sage. Jedes bezeichnende Wort verwende ich in diesem Sinn als Er-Satz für einen Satz.

Die Wörter bilden ein Netzwerk, weil die Wörter in verschiedenen Sätzen immer wieder vorkommen. Meine jeweiligen Wortverwendungen sind viabel, solange das Netzwerk für mich kohärent ist, also solange ich ein Wort immer durch den gleichen Er-Satz ersetzen kann. Meine je eigenen Wortersetzungen kann ich in einem Wörterbuch (Hyperlexikon) nachführen.

Ich kann die Wörter als Spielfiguren in einem Sprachspiel auffassen. Meine Texte unterliegen dann Spielregeln und mithin kybernetische Beschränkungen, die festlegen, wie ich je bestimmte Wörter – ohne mir zu widersprechen – verwenden kann. Die Spielregeln bestimmen nicht, wie ich die Wörter anordne, sie schliessen nur bestimmte Anordnungen aus. Wenn ich in einem Satz schon ein paar Wörter geschrieben habe, kommen nur noch bestimmte Wörter als Fortsetzung in Frage.

Die Spielregeln bezeichne ich als Grammatik. Grammatik wird oft präskriptiv verstanden, ich verstehe sie deskriptiv. Als Kind habe ich, ohne eine Grammatik zu kennen, sprechen gelernt. Ich nehme an, dass die ersten Menschen, die gesprochen haben, auch keine Grammatik kannten. Weil ich das Sprechenkönnen der Natur zurechne, nehme ich an, dass das, was ich durch die Grammatik beschreibe, im natürlichen Körper enthalten ist. Der Körper „weiss“ in diesem Sinne ja auch, dass er atmen oder die Augen öffnen muss.

Als Kind habe ich sprechen gelernt, bevor ich schreiben konnte. Ich erkenne darin einen Trick der Natur, der darin liegt, dass meine Mutter mit mir nur gesprochen hat, obwohl sie schreiben konnte. Ich staune auch darüber, wie leicht es mir gefallen ist, in kurzer Zeit mehrere tausend Wörter zu erkennen. Die chinesischen Schriftzeichen dafür scheinen mir komplizierter als die Buchstabenkombinationen, die ich in meiner Schrift verwende. Ich weiss nicht, wie sehr das auch von natürlichen Voraussetzungen abhängig ist.

Am Anfang war die Tat. Am Anfang wurden Zeichen hergestellt. Nachdem eine Schrift hervorgebracht wurde, konnte in der Regelmässigkeit der Zeichenverwendung auch eine Grammatik erkannt werden. Teil dieser Grammatik ist die Semiotik, die in Form von Wörterbüchern die Referenzobjekte der bezeichnenden Wörter festhält oder bestimmt. Das Wort Anfang hat – wie alle Wörter – eine auf diese Weise gewonnene Bedeutung. Ich bezeichne damit, dass ich jeder herstellenden Tätigkeit eine Dauer zuordne, die zwischen zwei Zeitpunkten liegt, so dass jede Tätigkeit beim jeweils vorderen Zeitpunkt beginnt, also dort ihren Anfang hat.

Wenn ich vom Anfang eines Textes spreche, hypostasiere ich, dass der Text hergestellt wurde, indem ein erstes Zeichen geschrieben, also hergestellt wurde.

Schreiben und Sprechen


Dass Menschen sprechen, rechne ich der Natur zu. Ich kann es tun, so wie Vögel fliegen können, wenn sie wollen. Sprechen hat einen praktischen Nutzen, den ich auch in der Kommunikation zwischen (anderen) Tieren beobachten kann. Ich kann durch Sprechen unter gegebenen Umständen andere Menschen beeinflussen. Aber darüber will ich hier nicht sprechen.

Als Sprechen bezeichne ich hier eine Vertonung von Schrift. Ich gehe davon aus, dass Menschen zuerst geschrieben und erst später gesprochen haben. Auch das will ich hier nicht erläutern. Hier geht es mir darum, dass Schreiben eine herstellende Tätigkeit ist, während ich mit Sprechen normalerweise keine Gegenstände herstelle. Was ich beispielsweise in einer Vorlesung  laut lese, habe ich davor – beobachtbar und anfassbar – aufgeschrieben. Ich habe Text hergestellt, den ich im Vortrag quasi vertone. Dass ich diese Musik auch ohne Notenblatt spielen könnte, also auch frei sprechen kann, rechne ich der Natur zu.

Text muss als hergestellter Gegenstand wie jedes Artefakt einen Zweck erfüllen, der seine Bedeutung ausmacht. Ich kann dessen Teile, also Buchstaben und Wörter nicht beliebig formen und nicht beliebig anordnen. Ich muss es hinreichend richtig tun. In der Technik erscheint dieses Richtigsein von Text beispielsweise in Form von Computerprogrammen, wo umgangssprachlich von Programmier-„Sprachen“ gesprochen wird – obwohl kein Mensch eine Programmiersprache spircht.

Ein für mich hier wichtiger Punkt ist, dass ich nicht verstehen muss, was ich mache, wenn ich spreche. Ich kann es einfach tun. Ich brauche keinerlei Wissenschaft dazu. Dass ich durch Schallwellen irgendwelche Nerven in den Ohren von anderen anrege, mag richtig und wahr sein, aber es ist für mich beim Sprechen ohne jede Relevanz, es ist Natur. Dass man mit Sprechen Denken und Bewusstheit verbinden kann, spielt hier auch keine Rolle.

Wenn ich schreibe, stelle ich anfassbare Gegenstände her. Schreiben ist eine körperliche Tätigkeit, die ich – euphemistisch gesprochen – „lernen“ musste. Ich wurde zum Schön- und Richtigschreiben wie ein Hund trainiert. Dabei ging es nicht darum, was ich schreibe, sondern um das herstellende Handwerk, das spezifischen Kriterien unterliegt. Ich musste lernen, materielle Gegenstände zu formen, deren Formen in der Syntax einer Grammatik vorgezeichnet, mir also vorgeschrieben sind.

Jedes Wort steht Schreiben ist ein spezielles Handwerk. Beim Schreiben stelle ich Symbole her, also materielle Artefakte, die für etwas anderes stehen. Das, worauf ich verweise, bezeichne ich als Referenzobjekt. Ich unterscheide zwei verschiedene Arten der symbolischen Referenzierung, ich kann zeichnen oder bezeichnen. Ich kann jeden Tisch zeichnen, aber ich kann den Tisch nicht zeichnen. Digitale Symbole wie Schriftzeichen zeigen nicht, wofür sie stehen.

Es gibt viele Tische, aber den Tisch gibt es nicht. Man kann sagen, dass das Wort Tisch für eine mentale Repräsentation aller möglichen Tische stehe, aber auch diese Repräsentation kann niemand zeichnen oder sich in einem wörtlichen Sinn vorstellen. Wenn ich jemandem erläutern will, wie ich das Wort Tisch oder irgendein anderes Wort verwende, zeige ich ihm praktisch nie eine Sache und ganz sicher gar nie eine mentale Repräsentation einer Sache, ich erläutere das Wort, indem ich andere Worte dafür sage. Jedes bezeichnende Wort ist ein Er-Satz für einen Satz. Jedes Wort steht als Symbol für andere Wörter.

Das ist das Verfahren, das ich in Wörterbüchern erkenne, in welchen es sozusagen ausschliesslich um genau solche Erläuterungen geht. Eine spezielle Variante solcher Erläuterungen bezeichne ich als Definition. Ich definiere, wie ich ein Wort verwende, indem ich einen Oberbegriff und ein Kriterium angebe.

Meine Definitionen betreffen keine Dinge, sondern zeigen, wie ich Worte verwende. Wörter, für die ich eine Definition habe, bezeichne ich als Begriffe. Ich bemühe mich, sie immer so zu verwenden, dass ich sie durch meine Definition ersetzen könnte. Niemand muss Wörter so verwenden wie ich. Wie Wörter von andere Menschen verwendet werden, kann ich sehen. Was andere wissen, ist für mich unerheblich oder transzendent. Ich kann es nicht wissen, ich kann nur sehen, was sie – irgendwie darüber – schreiben.

Meine Begriffe bilden ein Netzwerk, weil die Wörter in verschiedenen Zusammenhängen immer wieder vorkommen. Meine Wortverwendungen sind viabel, solange das Netzwerk für mich kohärent ist, also solange ich einen Begriff immer durch den gleichen Er-Satz ersetzen kann. Meine Erläuterungen haben in diesem Sinn kybernetische Beschränkungen, die festlegen, was ich mit je bestimmten Wörtern – ohne mir selbst zu widersprechen – sagen kann.

Eine Art Fortsetzung:  Sprache – Sprechen – Schreiben